Baukulturelles Erbe im Salzkammergut
Die Reformationslibelle erlauben einen wirklich faszinierenden und detaillierten Einblick in die Welt des Salzkammerguts im 16. Jahrhundert. Ich habe ja schon in einigen Episoden dieses Podcasts die Reformationslibelle besprochen. Ich stelle natürlich in die Shownotes entsprechende Links zu diesen Episoden. Die Reformationslibelle waren, um es noch einmal kurz zusammenzufassen, Vorgaben, wie das Salzwesen im Salzkammergut zu organisieren ist.
Sie entstanden in der Zeit, als der junge Erzherzog Ferdinand, später Kaiser Ferdinand I., die Herrschaft auch im Land Ob der Enns, also den habsburgischen Erblanden, übernahm. Es war eine sehr katastrophale finanzielle Verfassung des Landes zu dieser Zeit und er hat erkannt, dass über das Salzwesen sehr viel Geld zu lukrieren ist und hat wirklich begonnen, sehr detailliert mit staatlicher Gewalt hier in den Produktionsprozess einzugreifen. Es wurde wirklich jedes Detail, wie im Speziellen, im Praktischen vorzugehen ist, beschrieben. Und so erlauben eben diese Reformationslibelle diesen faszinierenden Blick in die Vergangenheit. Das erste Reformationslibelle von 1524 liegt nur in handschriftlicher Version vor. Aber soweit mir bekannt, gibt es zwei Exemplare, die liegen im oberösterreichischen Landesarchiv. Eines ist auf Papier geschrieben und eines noch auf Pergament.
Das zweite Reformationslibell aus dem Jahr 1563 ist bereits als Druck erschienen. Von dem gibt es zahlreiche Exemplare. Eines davon zum Beispiel liegt im Salinenarchiv im Bad Ischl im Leharstöckl. Aber es liegen auch Exemplare im Oberösterreichischen Landesarchiv und auch in der österreichischen Nationalbibliothek. Das Exemplar aus der österreichischen Nationalbibliothek ist eingescannt und für Interessierte frei zugänglich. Auch diesen Link, wie Sie zu diesem Exemplar kommen, stelle ich in die Shownotes. Die handschriftlichen Exemplare sind für ungeübte Leser sehr schwer zugänglich. Also diese frühen Handschriften, da muss man sich schon wirklich etwas tiefer in die Materie hineinknien, um die wirklich gut sich und vor allen Dingen flüssig lesen zu können. Ich habe so um das Jahr 2000 mich einmal intensiver mit diesen Handschriften, die im Hofkammerarchiv liegen, auseinandergesetzt und ich brauchte da schon einige Monate, bis ich das halbwegs, wie man so schön sagt, „derlesen“ konnte. Das gedruckte Exemplar, das ist in Frakturschrift gedruckt, für mich eigentlich sehr, sehr leicht lesbar und ich hoffe auch für ältere Leser, die eben noch diese deutsche Druckschrift, die Fraktur lesen können, denke ich, ist das relativ einfach zugänglich.
Diese gedruckte Frakturschrift ist für viele junge Menschen eigentlich nur mit größten Schwierigkeiten lesbar. Also ich habe zum Beispiel als Jugendlicher in den 1970er Jahren, waren noch sehr viele Bücher in meiner elterlichen Bibliothek, alte Bücher in Frakturschrift, zum Beispiel mein erstes Märchenbuch, Grimms Hausmärchen, natürlich in Fraktur. Und ich habe eigentlich ganz selbstverständlich diese Frakturschrift zu lesen gelernt. Also laden Sie sich einfach diesen Scan herunter, schauen Sie es an und ich denke, es ist es wirklich wert, hier hineinzulesen und ich denke auch, es wird nicht allzu lange dauern, bis Sie mit dem Lesen dieser Frakturschrift vertraut sind. Wir sind ja hier zeitlich in dieser spannenden Epoche zu Beginn der Neuzeit, also frühes 16. Jahrhundert, wo ja der Buchdruck erfunden wird. Das heißt, genau zu der Zeit erfindet Gutenberg den Buchdruck mit beweglichen Lettern. Und auch hier, hält ja dieses - das war natürlich Hightech, das modernste vom modernen - Einzug. Also genau in dieser Hightech-Industrie der Salzerzeugung verwendet man dann schon relativ frühzeitig das Hightech-Tool des Buchdrucks, um eben dieses Reformationslibell, dieses zweite [Reformationslibell] dann schon auf diese moderne Art herstellen zu können. Und wenn ich dieses Reformationslibell lese, dann stoße ich immer wieder einerseits auf sehr interessante Sachverhalte, ich habe schon darüber berichtet, über diese Steinbrüche, roter und weißer Steinbruch. Da plane ich noch eine Episode, da wird es noch einmal detailliert hineingehen, weil da habe ich im Reformationslibell noch weitere Informationen gefunden. Heute geht es über ein Wort, über das ich gestolpert bin und das ich nicht kannte, und das ist der Rabisch. Und ich lese Ihnen jetzt einen Absatz aus dem zweiten Reformationslibell einmal vor, dann werde ich Ihnen noch einmal durchgehen und vielleicht ungewohnte Worte erklären. Es heißt hier,
Insbesondeheit aber es sollte mit der Schmittarbeit, weil derselben täglich viel ist und ein ansehnliches Geld des Jahres darauf geht, diese Ordnung erhalten werden, dass der Hofschmied gegen einen jeglichen Vorsteher oder Meister, in welches Verwaltung er zu Pfannhaus, auf die Paan, Item, zum Steinbruch oder sonst anderer Orten entweder neuen Eisengezeug macht oder an dem alten bessert, unterschiedliche Rabisch halte, darauf er alle solche Arbeit gezwiefacht, geschnitten, von welchem Rabisch gemeldter Hofschmied einen und der Vorsteher oder Meister, welche solche Arbeit angeht den anderen haben und behalten sollte. Und wenn als dann der Hofschreiber mit ihm und dem Hofschmied Abraitung halten will, dass dann zu jedem Vierteljahr in Beiwesen der anderen Mitverweser und aller Meister in deren Verwaltung er, der Hofschmied gearbeitet, die auch mit ihm, die Rabisch halten, beschehen. So soll gedachter Hofschreiber sein, des Hofschmids Anzeigen oder Partikular seiner fürgegebenen Arbeit mit der Meister Rabisch vergleichen und abzählen, Auch einen jeden, insbesondere, was seiner, des Hofschmieds eingelegten Arbeit von Stück zu Stück, also beschechen sein, Ingedenk sein, befragen und im Fall da all solche Raitungen verglichen und ohne Mangel befunden, als dann ihm und dem Hofschmied darauf die Abzahlung tun und in Raitung Particulariter einlegen, damit aller Verdacht und Gefahr so viel möglich verhütet werde.
Ein Wort, das vielleicht ungewohnt ist, ist die Raitung. Und vielleicht kennen Sie im Salzkammergut das Dialektwort „roatn“ – „Da muss ich einmal roatn“. Und das Raiten mit „ai“ geschrieben, das bedeutet Rechnen. Und die Abraitung ist die Abrechnung. Und heute bedeutet „roatn“ eigentlich eher genau, sorgfältig nachdenken. Ursprünglich hieß es Rechnen. Dann werden die ganzen Beamten genannt, der Hofschmied, die Meister, die auch heute natürlich noch in der Saline die jeweiligen Leiter der Arbeitsgruppen sind, Pfannhaus Steinbruch ist klar, Paan, hartes P, doppel aa, die Panarbeit, das war die Arbeit mit dem Brennholz. Also wenn das Brennholz, der Hallwidt, vor dem Pfannhaus aufgestapelt wurde, das war die Paan und auch da galt es natürlich zu rechnen. Sehr schön auch der Hinweis, dass für das Eisengezeug sehr viel Geld drauf geht. Also das war natürlich damals sehr, sehr teuer.
Und die Partikularraitung, also das ist dann die Detail, also da wird es dann wirklich ins Detail gesehen und jetzt kommt eben dieser Ausdruck der Rabisch und da werden Sie sich ja auch schon fragen, was ist dieser Rabisch und da habe ich, das habe ich auch nicht gekannt, dieses Wort, und wenn ich auf Wörter stoße, die mir unbekannt sind, Und da ist immer die erste Quelle das Bayerische Wörterbuch von Schmeller. Johann Andreas Schmeller hat im frühen 19. Jahrhundert ein Wörterbuch, ein großes zweibändiges Wörterbuch, aller bayerischen Dialektwörter angelegt. Und der Dialekt des Salzkammerguts zählt ja zu den südbayerischen Dialekten. Also findet man sehr viele alte Dialektworte in diesem bayerischen Wörterbuch Schmellers.
In der zweiten Spalte 4 ist Rabisch. Und Rabisch, der klingt ja nicht so nach bayerischem Dialekt und es ist tatsächlich ein Wort mit slawischen Wurzeln. Und wir sind ja im Salzkammergut, gibt es vor allen Dingen auch noch in den alten Flurbezeichnungen, viele alte slawische Worte. Wir sind ja die Region, wo einerseits Alpenslawen und Bajuwaren bei der Landnahme aufeinander gestoßen sind und zum Beispiel Zlambach ist so ein altes slawisches Wort oder itz und atz Endungen wie Tauplitz oder Hirlatz, das sind Alpenslawische Wörter. Und eben auch lange übrig geblieben, der Rabisch und der Rabisch ist das Kerbholz. Sie kennen vielleicht noch den Ausdruck „etwas auf dem Kerbholz haben“ und das bedeutet Schulden haben. Und in der Zeit, zu Beginn des 16. Jahrhunderts, gab es natürlich noch einen sehr weit verbreiteten Analphabetismus Und hier diente zur Dokumentation, zur Aufschreibung von Schulden das sogenannte Kerbholz. Die Idee des Kerbholzes ist uralt, es gibt jahrtausende alte paläolithische Ausgrabungen von gespaltenen Knochen mit Kerben, wo es auch schon den großen Verdacht gibt, dass diese Kerbhölzer eigentlich ein uraltes Erbe der Menschheit sind. Die Idee des Kerbholzes besteht darin, dass man einen Holzstock oder ein Holzstöckchen zum Beispiel von einer Haselnuss spaltet, das heißt in der Längsrichtung durchspaltet und dann entstehen zwei Hälften, die wirklich in ihrer Dualität einzigartig sind. Das heißt, sie werden es nie schaffen, künstlich ein Gegenstück herzustellen, das in das andere passt. Also durch den natürlichen Wuchs und wie eben Holz nicht vollkommen eben spaltet, sondern eben nach genau dieser individuellen Wuchsrichtung eines einzelnen Holzstückes gibt es immer nur zwei Stücke, die zueinander passen. Und im Falle der Abrechnung, wurden diese beiden Holzstücke aneinandergehalten und man konnte einerseits feststellen, dass sie genau ineinander passen und andererseits, ob die Kerben, die wurden dann jeweils natürlich über die Spaltfläche hinausgeschnitten, sodass die Kerbe jeweils auf dem einen und auf dem anderen Stück war und so konnte nichts manipuliert werden. Und so hat eben der Hofschmied, wenn er jetzt sein Eisengezeug, Gezeug, vielleicht das Gezeug, das haben wir auch heute noch aktuell im Dialekt, „der Zoig“ für das Werkzeug, in dem Fall Maskulinum, nicht Neutrum. Und es steht ja auch, das Eisengezeug macht oder an dem Alten bessert, also der Zeug. Und da hat dann der Hofschmied in Anwesenheit des Meisters, der dieses Eisenzeug übernommen hat, eine Kerbe in den Rabisch hineingeschnitten und dann alle Vierteljahre bei der Abrechnung, bei der Detailabrechnung, bei der Partikularabrechnung war dann genau zu sehen, wie viel von diesem Werkzeug wurde ausgegeben. Und so konnte natürlich Missbrauch, Diebstahl durch diese genaue Form der Buchhaltung in einer sehr, sehr archaischen Form sichergestellt werden.
Es war so, dass diese Kerbhölzer nicht einfach nur gespaltene Haselnussstöcke oder was immer waren, sondern es gab zwei unterschiedlich große Stücke. Stellen Sie sich vor, Sie haben einen vielleicht 30 cm langen Ast oder einen Stock von einer Haselnussstaude und bevor Sie jetzt spalten, schneiden Sie vielleicht mit 5 cm Abstand vom Rand einmal schräg nach unten hinein und erst dann spalten Sie von oben. So entsteht ein V-förmiger Einschnitt, also die lange vertikale Spaltung und dann am unteren Ende wieder zurück das V. So kann man natürlich auch diese beiden Hölzer sehr genau und formschlüssig ineinander führen. Die verrutschen dann auch nicht bei der Überprüfung. Also das ist auch jetzt bei der praktischen Überprüfung. Man steckt dann den kleineren Teil hinein. In dieses V hinein, passt hinein und es lässt sich sehr einfach überprüfen und die beiden Hölzer können nicht aneinander verrutschen.
Traditionell, und das ist auch wieder in vielen Kulturen so, hat den kleineren Teil der Schuldner bekommen und den größeren Teil, also wo unten noch der gesamte Stock vorhanden war, den hat der Gläubiger behalten. Ich habe dann zu diesen Kerbhölzern weiter recherchiert, weil mich natürlich dann das Thema auch wirklich zu interessieren begonnen hat und bin dann draufgekommen, dass zum Beispiel in Frankreich im Gesetzbuch, dass Napoleon Ende 18., Beginn 19. Jahrhundert den sogenannten Code Napoleon erlassen hat, dass dort noch Kerbhölzer als rechtsgültige Schulddokumentationen zugelassen sind. Ich habe auch dann weiter gefunden im Vereinigten Königreich, was bis ins erste Viertel des 19. Jahrhunderts üblich, Schulden auf Kerbhölzern zu verzeichnen. Die Bank of England hat bis 1826 Kerbhölzer verwendet und diese Kerbhölzer heißen auf Englisch immer noch Tallies, das ist das Ganze und dieses größere Stück, das der Gläubiger hat, das ist der sogenannte Stock. Und im Englischen heißen ja Aktien immer noch Stocks und die Aktienbesitzer heißen Stockholder. Also das ist wirklich noch vom Kerbholz, von diesem größeren Teil, das der Gläubiger hält. Es gab übrigens auch damals schon Staatsanleihen und auch diese Staatsanleihen wurden bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts in Form von Kerbhölzern ausgegeben, also das gilt jetzt für das Vereinigte Königreich - auch eher eine unsichere Investition und die wurden dann auch unter ihrem Nominalwert gehalten. Man hat dann in England eine Steuerreform durchgeführt und dann gab es Abertausende dieser Stocks, dieser Tallies, die man nicht mehr gebraucht hat und die waren in einem Bereich des englischen Parlaments, an der Themse, in the Houses of Parliament aufbewahrt. Und man hat dann, und da gibt es unterschiedliche Quellen, es gibt Quellen, die schreiben, sie wurden im Hof des Parlaments verbrannt. Es gibt andere Quellen, die sagen wiederum, oder die beschreiben wiederum, nein, es wurden damit die Öfen des Parlaments geheizt. Jedenfalls führte diese große Verbrennungsaktion, dieser nicht mehr gebrauchten Tallies, im Jahr 1834 zu diesem Großbrand des Parlaments. Da gibt es übrigens von dem englischen Maler William Turner ein wunderschönes Gemälde dieses Parlamentsbrandes. Und dann wurde in jahrzehntelanger Arbeit dieser Neubau der Houses of Parliament geschaffen, Sie kennen das alles. Mit dem Big Ben wurde das wieder neu errichtet. Also quasi dieses Gebäude verdanken wir letztlich dem missglückten Verbrennen dieser Tallies. Und naja, Sie wissen, wenn man dann recherchiert, ich falle dann in die Lexika hinein, dann bin ich natürlich auch weiter darauf gestoßen: Es gab dann den Begriff des Tallyman. Der Tallyman, das war dann derjenige, ein Zählmeister, das war ein Beamter, der für das Kerben einschneiden, für das Zählen mithilfe dieser Tallies beauftragt war. Und dann habe ich mir gedacht, dieses Wort Tallyman, das kenne ich von irgendwo nicht. Ich zähle jetzt schon zu einer sehr alten, quasi schon aussterbenden Generation und für mich ist noch dieser Sänger des Calypsos, Harry Belafonte, das ist 1960er Jahre Und da gab es einen Welthit, das war der sogenannte Banana Boat Song und da gibt es eine Textzeile, die heißt Come Mr. Tallyman, tally me bananas und ich habe bis heute, ja, das habe ich gesungen, aber nie gewusst, was das bedeutet. Und jetzt mit meiner Recherche zum Rabisch aus dem Reformationslibell bin ich dann auf diesen Tallyman gestoßen und tatsächlich wird hier der Kerbholzmann angerufen, er möge doch die Bananenbüschel zählen, welche in das Bananaboat eingeladen werden sollten.